Großbritannien – Ein deutscher Bachelor reicht nicht als Eintrittskarte

Die neuen Bachelorabschlüsse müssen sich in Großbritannien ihr Ansehen erst erarbeiten. Die Hochschulen kümmern sich wenig um Bologna und beurteilen ihre Bewerber im Chaos der Abschlüsse und Studiengänge selbst.

Hochschulabschlüsse aus Deutschland haben im Ausland einen guten Ruf. Diesen Eindruck gewinnt zumindest, wer mit deutschen Studenten in Großbritannien spricht. Ein Blick auf die stark nachgefragten englischen Spitzenuniversitäten zeigt aber: Die neuen Bachelorabschlüsse müssen sich ihr Ansehen erst erarbeiten. Die University of Oxford will sich derzeit nicht festlegen, ob ein deutscher Bachelor überhaupt die formalen Zulassungskriterien für ein Graduiertenstudium erfüllt oder nicht.

In Cambridge hat die Universitätsverwaltung immerhin eine grundsätzliche Empfehlung zugunsten des europäischen Bachelor (BA) ausgesprochen, die jedoch für die Auswahlkommissionen in den einzelnen Fakultäten ausdrücklich nicht verbindlich ist. Einen dritten Weg geht das University College London: Für die fortgeschrittenen „Master by Research“-Programme wird von britischen Bewerbern ein „upper second class“ im Zeugnis verlangt. Diese Abschlussnote erreicht in Großbritannien fast jeder zweite Student. Ein „upper second“ entspricht etwa einer deutschen 2,0. Wer sich dagegen mit einem deutschen Bachelor vorstellt, muss einen deutlich anspruchsvolleren Schnitt nachweisen – mindestens 1,5. Während sich die Universität in Cambridge damit begnügt, einen „High upper second“-Abschluss (zwei plus) mit einer 1,7 gleichzusetzen, erlaubt sich London seine 1,5.

Offiziell geben sich die Fakultäten einladend

Die Universitäten sagen aber auch, dass sie nicht allein auf die Abschlussnote blicken. Jeder Bewerber sollte daher darauf achten, die bisherige Laufbahn genau zu erläutern. Offiziell geben sich die Fakultäten einladend. Dennoch blickt mancher Professor etwas verwundert auf die Umbrüche in Deutschland. Denn das entscheidende Auswahlkriterium ist die individuelle Qualität des Bewerbers, und auf genau dieser Grundlage war akademische Freizügigkeit in Europa natürlich schon vor dem Bologna-Prozess möglich. Tobias Reinhardt etwa kam 1997 nach dem Staatsexamen in Frankfurt zur Promotion nach Oxford. Mit dem britischen Verständnis von Universität hat schon der Begriff einer staatlichen Prüfung nichts gemein. Dennoch habe es beim Wechsel zwischen den Systemen nicht die geringsten Schwierigkeiten gegeben, sagt Reinhardt heute. Im Gegenteil: Das Staatsexamen bürge für eine unbedingte Mindestqualität – anders als der britische Bachelor. Inzwischen ist Reinhardt selbst Professor für Latein am Corpus Christi College.

Matthias Egeler konnte sogar ohne einen ersten Abschluss sein Masterstudium in Oxford beginnen. In München hatte er drei Jahre Religionswissenschaft studiert und lediglich die Zwischenprüfung abgelegt, doch mit einer Empfehlung seines Professors gelang ihm der Wechsel ohne weiteres. Nun ist Egeler kurz vor der Abgabe seiner Doktorarbeit.

Entscheidend war also nicht, welche Abschlüsse vorhanden waren oder ob es sie überhaupt gab. Es überrascht auch nicht, dass die Fakultäten beim Auswahlverfahren vor allem die Empfehlungen und den Bildungsstand des einzelnen Bewerbers beurteilen. Heute – mit dem Bologna-Prozess und der Einführung einheitlicher „credits“ – dürfte sich das aus britischer Sicht kaum ändern. In Oxford wird wie bisher ein Gremium jeden Fall einzeln abwägen und über die Zulassung entscheiden. Wer sein Studium in Deutschland begonnen hat und es in Großbritannien fortsetzen möchte, sollte es dabei nicht auf die vermeintliche Gleichwertigkeit eines deutschen und eines britischen Bachelor ankommen lassen.

Chaos der Abschlüsse und Studiengänge

An vielen britischen Universitäten selbst herrscht ein Chaos der Abschlüsse und Studiengänge. Der Bachelor nach drei Jahren ist zwar weit verbreitet. Nicht wenige studieren aber auch vier Jahre lang. Geisteswissenschaftler können dafür dann gleich den Magister Artium erhalten, wie an den ältesten schottischen Universitäten üblich. Absolventen von Oxford oder Cambridge dürfen nach einer Frist von sieben Jahren ihren BA um den Preis einer geringen Gebühr in einen Master (MA) umwandeln. Britische Ingenieure erwerben meist von vornherein einen Mastertitel. Philosophen dagegen werden an bestimmten Fakultäten erst nach zweijährigem Graduiertenstudium überhaupt zum Bachelor. Zu diesen traditionellen Studiengängen, die zum Teil bis ins Mittelalter zurückgehen, stellen sich frech einige moderne Abschlüsse: zum Beispiel der Bachelor der Frisierwissenschaft, der in Birmingham und Southampton angeboten wird. Auch zehn Jahre nach der Bologna-Erklärung denkt niemand daran, die akademische Nomenklatur zu vereinheitlichen.

Es wäre dennoch übertrieben zu behaupten, dass der Bologna-Prozess ganz ignoriert würde. Entsprechende Diskussionen finden aber nur unter Fachleuten statt und beziehen sich auf Einzelheiten. Das „Times Higher Education Supplement“ etwa zeigt sich gelegentlich besorgt um das Ansehen der hierzulande beliebten einjährigen Masterstudiengänge. Europäische Universitäten, die im Allgemeinen zweijährige Master anböten, könnten die Anerkennung verweigern. Ausgeklammert bleibt dabei die berechtigte Frage, wie viele britische Studenten überhaupt in das europäische Ausland wollen

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